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„Träume von Freiheit – Romantik in Russland und Deutschland“
„Träume von Freiheit – Romantik in Russland und Deutschland“ - Eine Exkursion ins Albertinum Dresden
Nachdem der erste Teil der Wanderausstellung „Träume von Freiheit“ in der Tretjakow-Galerie in Moskau zu sehen war, konnte man die russischen und deutschen Kunstwerke seit Anfang Oktober 2021 im Albertinum in Dresden besichtigen. Mitglieder des Kollegs nutzten diese Gelegenheit und besuchten am 1. Februar die Ausstellung. Kurator PD Dr. Holger Birkholz und Kuratorin Marija Isserlis führten unsere zwei Gruppen durch die „Träume von Freiheit“.
Die über 140 Gemälde und Kunstwerke aus Russland und Deutschland sind thematisch verschiedenen Oberbegriffen zugeteilt und ebenso optisch durch die Raumgestaltung gegliedert. Die Ausstellungswände laufen schwarz, grau und weiß ineinander über, werden mal von spitzen Kanten, mal von großen Flächen getrennt. Die Unterteilung in einzelne Kapitel wie Heimat, Protagonisten, Wahlheimat Italien, Innenleben und Innenwelten, Unmöglichkeit der Freiheit und Freiheit der Kunst geben den Betrachter:innen eine Orientierung und beleuchten verschiedenen Aspekte der Epoche der historischen Romantik.
Die Ambivalenzen, die die Epoche der Romantik (1789–1849) wie kaum eine andere prägten, wurden in Dresden nicht nur durch die Komposition und Anordnung der Gemälde aufgegriffen, sondern auch architektonisch umgesetzt. Für die räumliche Gestaltung war Architekt Daniel Libeskind verantwortlich, dessen labyrinthartige Raumstruktur sich den thematischen Schwerpunkten anpassten. Raum und Hängung sind auf diese Weise ineinander verflochten und ergeben ein eigenes atmosphärisches Kunstwerk.
Wir beginnen unsere Führung im Abschnitt Heimat: Die hier ausgestellten Malereien thematisieren die eigene Heimat in Landschaftsdarstellungen. Sie sind von einer Offenheit und Weite gekennzeichnet, die laut Birkholz den Beginn der Moderne markieren. Dieser Beginn sei in der Malerei vor allem durch Reduktion gekennzeichnet, wie sie in diesen Werken zu sehen ist. Wir betrachten Ludwig Richters Die Überfahrt am Schreckenstein von 1837. Richter, der zur späten Romantikergeneration gehörte, erfreute sich beim zeitgenössischen Publikum großer Beliebtheit. Sein narrativer Stil schlägt sich auch in diesem Werk nieder, das eine kleine Gesellschaft auf einem Boot am Fuße des Schreckensteins – eine in Tschechien gelegene Burg an der Elbe – abbildet. Dass Heimat kein geografischer Raum ist, macht Richter hierbei deutlich. Dabei wird ein Gefühl evoziert, das sich zwischen Behaglichkeit und Mystik bewegt – ein romantisches Bild eben. Woran lässt sich das festmachen? Nicht nur das Licht, das an Abenddämmerung erinnert, bestätigt diesen Eindruck, auch die Ruine auf am Berggipfel sowie die zarte Landschaftskulisse im Hintergrund vermitteln Ruhe und Sehnsucht gleichermaßen. Man erkennt das romantische Geschichtsmodell wieder: Im linken Bildteil erstreckt sich mit der Ruine am Gipfel die heroische Vergangenheit, die eigene Gegenwart wird mittels der kleinen, am Rande des Berges gelegenen Hütten präsentiert, der Fluss vermittelt Kontinuität, symbolisch für Chronos. Auch in den verschiedenen Protagonist:innen spiegelt sich diese Kontinuität hinsichtlich des Alters, der Gemütszustände und der Aktivität wider. Ein alter Mann spielt Harfe, ein anderer scheint in einem kontemplativen Moment versunken, ein Kind fährt spielerisch mit einem Zweig durchs Wasser und ein Wanderer blickt zum Berggipfel hinauf.
Wir ziehen weiter und kommen zum thematischen Bereich der Kindheit. Angestoßen durch Jean-Jacques Rousseaus Neubewertung des Kindes (Émile oder über die Erziehung, 1762), schlägt sich eine Beschäftigung mit dem kindlichen Gemüt auch in der Malerei nieder. Wir stehen vor Philipp Otto Runges Bildnis der Luise Perthes von 1805 und blicken auf ein übergroßes Kleinkind, dessen Gesichtszüge eher an einen Erwachsenen denken lassen. Auch die Mimik scheint fremd und streng. Es ist die Ursprünglichkeit, die Natürlichkeit, die die Romantiker:innen in Kindern verkörpert sehen und die sie in ihrer Malerei festzuhalten versuchen. Ein Lachen oder ein freundliches Gesicht des Proträtierten ist zu dieser Zeit noch nicht vorstellbar und wird erst gute 100 Jahre später Einzug in die Malerei halten.
Die Ausstellung präsentiert nicht nur Malerei, wie der nächste Abschnitt beweist. Dokumente, Handschriften und Objekte wie das Kriegstagebuch von Theodor Körner oder der Dirigierstab von Carl Maria von Weber als Relikte einer fremden Zeit eröffnen eine politische Dimension. Die Epoche der Romantik ist auch eine Epoche starker Konflikte, innerer wie äußerer. Freiheit im Kontext des Krieges wurde als Überwindung des Feindes gedacht. So erklärt auch Kurator Holger Birkholz den politischen Anspruch, der hinter der Konzeption der Ausstellung steckte. Es gehe darum, die Ambivalenzen, die im GRK „Modell Romantik“ mit dem Begriff der „Kippfigur“ ausgedrückt werden, einzufangen und darzustellen. Diese Spannungen, die starken Widersprüche zwischen Freiheit und Einschränkungen, zwischen Individualität und Gemeinschaft, zwischen Krieg und Frieden, die die Romantik prägten, werden hier in Dresden fühl- und sichtbar. Den Antrieb zur Ausstellung, berichtet Holger Birkholz weiter, gebe nicht nur das Bedürfnis wieder, die Verbindungen und Verschränkungen, der über die nationalen Grenzen hinausgehenden Ideen darzustellen, sondern auch die gegenwärtigen Kooperationen zu stärken. Mit Leihgaben der staatlichen Eremitage Sankt Petersburg, dem Russischen Museum Sankt Petersburg und dem Puschkin Museum Moskau, geht die Verbindung über die Beziehung zur Tretjakow-Galerie Moskau hinaus. Die Besonderheit der Ausstellung zeigt sich besonders in der Darstellung der Wechselbeziehung zwischen den beiden Ländern, den gegenseitigen Beeinflussungen durch Aufnahme von Motiven, Farben und Formen in den Gemälden.
Dass die Romantik mit ihren Ideen und Gestaltungsprinzipen über die historische Epoche hinausreicht, wurde mit der Aufnahme zeitgenössischer Kunst in die Ausstellung, wie beispielsweise der Fotografie des Künstlers Wolfgang Tillmans, verdeutlicht. Der monumentale Farbdruck gibt den Blick auf das offene Meer frei. Dabei ist die Perspektive mehr als eine schwärmerische Naturerfahrung, wie wir vom Kurator erfahren: Tillmans Werke sind politisch. Die 2015 aufgenommene Fotografie bildet nicht irgendeine Stelle im Atlantik ab, sondern eben jene der europäischen Grenze. Gleich daneben ein anderes Meeresbild: Iwan Konstantinowitsch Aiwasowski Das schwarze Meer von 1881, das bis dato die Tretjakow-Galerie nie verlassen hatte. Das 149 x 208 cm große Ölgemälde zeigt eine vom Sturm bewegte, dunkle See. Meer und Himmel sind farblich voneinander getrennt, wenngleich sich die Helligkeit des Himmels in den schäumenden Wogen zu spiegeln vermag. Das imposante Werk korrespondiert mit Tillmans Druck. Wie passend, dass dieser Raumabschnitt den Titel Freiheit der Kunst trägt.
Schräg gegenüber des im Dreieck gestalteten Raumes findet sich eine lange Wand, die eine Reihe von kleinen Landschafts- und Meeresbildern präsentiert. Auf den ersten Blick lässt sich kaum sagen, welche davon aus Russland und welche aus Deutschland stammen.
Wir gehen, nun mit Marija Isserlis, weiter in den angrenzenden Raum. Hier sehen wir keine Kunst, aber wir hören sie. Die Künstlerin Susan Philipsz hat für ihre 5-Kanal-Klanginstallation War Damaged Musical Instruments von 2015 vom Krieg beschädigte und verstimmte Musikinstrumente, vornehmlich Blasinstrumente, von Profi-Musikern spielen lassen und dies in einer einzigartigen Weise zusammengeführt. Die Verbindung von Instrument und Mensch wird hierbei hörbar: Es bedarf des menschlichen Atmens, um Musik zu erzeugen, wie Marija Isserlis betont. Doch diese Musik verweigert sich einer Harmonie. Als körperliche Erfahrung steht sie dem Visuellen und Schönen der Malerei entgegen, die Erfahrungen des Krieges werden poetisch umgewandelt und fühlbar gemacht. Als Teil der Unmöglichkeit der Freiheit ergänzt die Installation so das Gezeigte.
Einige von uns hatten es gleich zu Beginn gemerkt: Wir betrachten nur Werke von Männern: Alexander Iwanow, Alexej Gawrilowitsch Wenezianow, Casper David Friedrich und Carl Gustav Carus. – Keine einzige Künstlerin ist unter den hier ausgestellten Romantikern. Um diesem Ungleichgewicht entgegenzuwirken, hat sich das Kurator:innenteam für eine Arbeit der niederländischen Künstlerin Mathilde ter Heijne entschieden. Das interaktive Projekt Women to go besteht aus Postkarten, die je das Porträt einer anonymen Frau mit der Biografie einer einflussreichen Frau kombinieren und zum Mitnehmen in der Mitte des Raumes bereitstehen. Auf diese Weise arbeitet ter Heijne einem Vergessen der Unbekannten entgegen, gibt ihnen im patriarchalen Erinnerungskanon einen Platz.
Nachdem wir unseren Rundgang vor Boris Mikhailovs Fotografie aus der Reihe Yesterday Sandwich von 1972 beendet haben, bleibt noch etwas Zeit, sich die Ausstellung selbstständig anzusehen. Die Möglichkeit, einige von Casper David Friedrichs Werken, die sonst nur in Russland zu sehen sind, oder die großartigen Gemälde von Alexander Andrejewitsch Iwanow leibhaftig betrachten zu können, sind nur zwei der vielen Highlights der Ausstellung. Die Ausstellungskomposition, die Verbindung historischer und zeitgenössischer Kunst sowie die Vermittlung der Vielfältigkeit und Ambivalenzen der Romantik machten die Ausstellung zu einem Must-see.
In einem nachmittäglichen Gespräch bekamen wir die Gelegenheit, den beiden Kurator:innen unsere Fragen zu stellen. So trieb eine Kollegin die Frage nach den Unterschieden der russischen und der deutschen Malerei um. Holger Birkholz betonte, dass es eben nicht um Unterschiede, sondern um Gemeinsamkeiten der beiden Länder gehe. Man wolle mit der Ausstellung auf die starken Verknüpfungen und Verbindungen zwischen den Malern verweisen, statt Hierarchisierungen oder Kategorisierungen vorzunehmen. Auf dem Weg nach Italien haben die russischen Maler in Dresden einen Zwischenstopp eingelegt, Dresden sei ein wichtiger Treffpunkt gewesen. Overbeck und Iwanow beispielsweise verbinde eine Freundschaft.
Mit einem Gang durch die Dauerausstellung des Albertinums, zu der Friedrichs Das große Gehege bei Dresden – nichts weniger als das Symbolbild unseres Kollegs – und Das Kreuz im Gebirge (Tetschener Altar) zählen, endete unser Besuch im Albertinum.
Dass man beim Stichwort „romantische Malerei“ nun nicht mehr ausschließlich an Caspar David Friedrich denkt, ist der Ausstellung Träume von Freiheit zu verdanken.
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Bericht von Tabea Lamberti. Die Exkursion fand vom 01. Februar 2022 statt und wurde von Gabriel Ascanio Hecker organisiert.