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Romantik in der Praxis IV: Literatur ausstellen – Die Kindheitsausstellung im Deutschen Romantik-Museum
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Vom 27. Oktober 2023 bis zum 21. Januar 2024 ist im Deutschen Romantik-Museum in Frankfurt eine neue Wechselausstellung zum Thema „‚Die Natur will, dass Kinder Kinder sind…‘ Kindheit im Wandel: Von der Aufklärung zur Romantik“ zu sehen, bei deren Konzeption und Vorbereitung ich während meiner dreimonatigen Praxiszeit (April bis Juni 2023) im Freien Deutschen Hochstift mitarbeiten durfte.
Die von Joachim Seng und Katja Kaluga kuratierte Ausstellung nimmt das sich verändernde Kindheitsbild zwischen 1750 und 1850 in den Blick und hebt dabei besonders die anhaltende Aktualität der um diese Zeit entstehenden Ideen und Konzepte hervor. Ausgehend von den Sammlungsbeständen des Hauses liegt dabei ein Schwerpunkt auf den Lebensrealitäten der Familien Goethe und Brentano. So können Besucher:innen etwa Goethes erste Schreibübungen oder den Zauberkasten seiner Enkel bewundern (Abb. 3), oder den herzzerreißenden Briefwechsel zwischen dem im Internat weilenden Clemens Brentano und seiner Mutter lesen. Ein zweiter Teil widmet sich dem ‚Jahrhundert der Pädagogik‘ und stellt verschiedene innovative Lehrmittel und -methoden der Zeit vor. Die Reformpädagogen des Philanthropismus betonen den Mehrwert von ‚sinnlichem Lernen‘; um 1800 entsteht demnach eine Flut an bebilderten Lehrbüchern, die in der Ausstellung in ihrer farbigen Pracht präsentiert werden (Abb. 4). Im dritten Teil rückt das romantische Kindheitsbild in den Blick; Dichter:innen der Frühromantik betrachten Kinder als heilige Wesen, die mit ihrem unverstellten Blick auf die Wirklichkeit und ihrer besonderen Fantasiefähigkeit als ideales Vorbild für die poetische Tätigkeit gelten (Abb. 5). Dieses idealisierte Kindheitsbild schlägt sich auch in der literarischen Produktion der Romantiker:innen nieder, etwa in den Kinderliedern aus Des Knaben Wunderhorn (1808), in den Kinder- und Haus-Märchen der Brüder Grimm (1812/1815) oder in den Kunstmärchen E. T. A. Hoffmanns, welche in der Ausstellung in illustrierten Originalen zu bestaunen sind. Ein weiterer Höhepunkt sind sicherlich die zahlreichen historischen Spiele; ausgestellt werden etwa historische Puzzle, Globen, Papieranziehpuppen (Abb. 6), Pop-Up-Bücher oder Adventskalender. Der letzte Teil der Ausstellung untersucht das Fortwirken des romantischen Kindheitsbildes in Werken der zeitgenössischen Kinder- und Jugendliteratur und lädt mit einem Büchertisch zum Stöbern in Klassikern der eigenen Kindheit ein, darunter Erzählungen von Astrid Lindgren, Cornelia Funke, Michael Ende oder Neil Gaiman. Insgesamt liegt der Fokus der Ausstellung auf Kindheiten in bürgerlichen Familien und gibt somit Einblicke in die Welt einer privilegierten Minderheit. Die Lebensrealität eines Großteils der Kinder um 1800 sieht allerdings ganz anders aus und an verschiedenen Stellen der Ausstellung wird zumindest schlaglichtartig auch auf Elemente wie Armut, Hunger, Krankheiten oder Kinderarbeit hingewiesen.
Die Ausstellung ist am 26. Oktober feierlich eröffnet und in der Presse bereits vielfach gelobt worden. Doch was passiert eigentlich alles vor so einer Ausstellung? Während meiner Praxiszeit am Freien Deutschen Hochstift konnte ich einen umfangreichen Einblick in die zahlreichen Aufgaben und Herausforderungen der Ausstellungsarbeit erhalten.
Am Anfang einer Ausstellung steht man vor der Frage, wie sich bestimmte Ideen und Konzepte überhaupt darstellen lassen, welche Exponate sich am besten eignen, um gewisse Inhalte zu vermitteln. Gerade in Literaturausstellungen wird dabei zunehmend Wert auf eine abwechslungsreiche Darstellung gelegt, selbst die größten Bibliophilen erfreut es, wenn sich unter die vielen eindrücklichen Manuskripte und Erstausgaben hin und wieder auch mal ein anderes Medium mischt – in der Kindheitsausstellung wird beispielsweise sehr viel historisches Spielzeug gezeigt, außerdem wird Besucher:innen durch Hörstationen und Videoinstallationen ein multimediales Ausstellungserlebnis ermöglicht (Abb. 7). Bei der Auswahl der Stücke orientiert man sich immer an den Beständen des Hauses; besondere Exponate können von anderen Museen oder privaten Leihgeber:innen ausgeliehen werden. Das kostet allerdings oft viel Geld und bedeutet außerdem zusätzlichen administrativen Aufwand – es muss ein Leihvertrag aufgesetzt werden, es muss abgeklärt werden, wie und unter welchen Bedingungen das Exponat gezeigt werden darf, Transport und Aufbau der Exponate müssen organisiert werden.
Weiß man einmal, welche Stücke man zeigen möchte, steht man als nächstes vor der Frage der Darstellung – wie genau sollen die Exponate gezeigt werden und wie soll der Ausstellungsraum gestaltet werden? Das Freie Deutsche Hochstift arbeitet dafür in der Regel mit einem Grafikerinnen-Team zusammen; für die Kindheitsausstellung wurde beispielsweise ein Spielfeld entworfen, dem die Besucher:innen in einer Imitation kindlichen Spielens durch die Ausstellung folgen können (Abb. 8).
In einem nächsten Schritt steht man schnell schon vor sehr praktischen Fragen: Das Hochstift besitzt für Wechselausstellungen eine bestimmte Anzahl an Vitrinen, aber passen alle Exponate in die vorhandenen Vitrinen? Wie viele Bücher kann man eigentlich in eine Vitrine legen, ohne dass sie zu voll wirkt? Müssen neue Vitrinen angefertigt werden, z.B. für besondere Exponate, die über das herkömmliche Buchformat hinausgehen? Zur Vorbereitung einer Ausstellung gehört auch, die Maße jedes einzelnen Exponats akribisch auszumessen, damit es beim Befüllen der Vitrinen, was meist erst wenige Tage vor Ausstellungseröffnung passiert, nicht zu bösen Überraschungen kommt. Und wie lässt sich eigentlich historisches Spielzeug ausstellen, ohne dass man es kaputt macht? Bei solchen Fragen werden die Kurator:innen in der Regel von Restaurator:innen unterstützt.
Parallel zu diesen praktischen Fragen müssen die Ausstellungstexte geschrieben werden. Spannend fand ich dabei, dass dieser Teil der kuratorischen Arbeit dem wissenschaftlichen Arbeiten an der Promotion in vielerlei Hinsicht sehr ähnlich ist: man recherchiert viel, stellt Zusammenhänge her, interpretiert und produziert Text – allerdings eine andere Form von Text und für ein anderes Publikum; es gilt, hochkomplexe wissenschaftliche Zusammenhänge in Ausstellungstexten von nur wenigen Zeichen so darzustellen, dass sie verschiedene Ziel- und Altersgruppen ansprechen.
Zu den meisten Ausstellungen gibt es außerdem einen Katalog, in welchem bestimmte Aspekte in wissenschaftlichen Beiträgen vertieft werden. Auch dieser muss parallel zur eigentlichen Ausstellung geplant und herausgegeben werden. Dazu gehört das Verfassen der eigenen Beiträge ebenso wie das Korrekturlesen der anderen oder das strenge Hinterher-Telefonieren bei ausbleibenden Aufsätzen.
Parallel zur Arbeit an der eigentlichen Ausstellung gilt es außerdem, das Begleitprogramm zu organisieren – welche Schwerpunktführungen sollen angeboten werden, welche Abendvorträge, welche besonderen Workshops? Geklärt werden muss darüber hinaus, wie und auf welchen Kanälen die Ausstellung beworben werden soll, welches Motiv sich am besten für Flyer und Poster eignet und welche Dinge es im Museumsshop zu kaufen geben soll.
Insgesamt habe ich während meiner Praxiszeit am Freien Deutschen Hochstift gelernt, dass die Arbeit an einer Ausstellung sehr viele verschiedene Aufgaben und Herausforderungen mit sich bringt und vieles hinter den Kulissen geschieht, worüber man als Besucher:in nie nachdenken würde. In Zukunft werde ich Ausstellungen wohl immer mit ganz anderen Augen sehen!
Zum Begleitprogramm der Ausstellung gelangen Sie hier.