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Saturday, 12. December 2020 | Julia Schreiter

Aus der Werkstatt des Kollegs, Teil 9 mit Julia Schreiter

Hier geben Wissenschaftler und Wissenschaflerinnen des Graduiertenkollegs den Blick
auf ihren Schreibtisch frei: Sie schreiben oder sprechen darüber, welche Arbeit derzeit auf sie wartet,
worüber sie nachdenken, mit welchen romantischen Themen, Texten, Bildern und Musikstücken
sie sich gerade beschäftigen. In vielen Fällen sind das Aspekte einer Dissertation.
Es können aber auch im Entstehen begriffene Projekte und Bücher anderer Art sein.
Oder Gedanken und Nebenwege, auf die einen die Beschäftigung mit der Romantik führt.

Der Hauch der Ahnen

Ich habe die heimische Werkstatt für einen Ausflug in die Praxis verlassen. Sechs Wochen konnte ich bei einem Praktikum den Universitätsverlag Winter in Heidelberg kennenlernen – und bin an einem doppelt romantischen Ort gelandet. Denn Heidelberg ist nicht nur die Wirkungsstätte der zweiten Romantikphase, sondern der Verlag war auch ein wichtiger Publikationsort der Romantik. Unter anderem erschienen hier »Des Knaben Wunderhorn« von Achim von Arnim und Clemens Brentano in drei fortlaufenden Bänden von 1806 bis 1808. Originalausgaben aus dieser Zeit sind außerdem Joseph Görres’ »Teutsche Volksbücher« und die von Görres mit Clemens Brentano verfasste Philistersatire »Wunderbare Geschichte von BOGS dem Uhrmacher«. Auch Jean Paul, August Wilhelm Schlegel, Ludwig Uhland und Jakob Friedrich Fries gehörten zu den Autoren der ersten Jahre.

Noch heute liegt der Schwerpunkt des Verlagsprogramms klar auf den Geisteswissenschaften. Es erscheinen überwiegend wissenschaftliche Publikationen zu den Einzelphilologien Germanistik, Anglistik, Romanistik, Slawistik und Indogermanistik, zur Komparatistik sowie zu den Fachgebieten Philosophie, Klassische Philologie, Theologie, Judaica, Geschichtswissenschaft und Musikwissenschaft.

Der Hauch der romantischen Ahnen weht noch immer durch den Verlag – spürbar ist er z. B. in einer Monografie zur inszenierten Volkstümlichkeit in Balladen von 1800 bis 1850 oder einem Werk zur Autorschaft der Grimms, das demnächst erscheint.

Nun durfte ich nicht nur die Romantik geschwängerte Luft schnuppern, sondern auch den Prozess, wie aus einem Manuskript ein druckfrisches Buch wird, mitverfolgen und mitgestalten. Drei neu eingegangene Manuskripte habe ich hinsichtlich Struktur, inhaltlicher Schlüssigkeit und Integrierbarkeit ins Verlagsprogramm begutachtet – bei einem der Manuskripte kamen mir meine Kenntnisse zum Roman in der Romantik zugute. Aus den Einsendungen hat sich während meiner Praktikumszeit ein Projekt ergeben, bei dem ich mit der Autorin und den Herausgebern der Reihe, in der das Buch erscheinen wird, korrespondiert habe. Zudem habe ich mich mit dem Urheber- und Verwertungsrecht, dem Umgang mit Lizenzen und der Erstellung des Autorenvertrags auseinandergesetzt. Im Lektorat habe ich darüber hinaus das Korrektorat von vier Publikationen übernommen, d. h. die schon gesetzten Manuskripte stilistisch, orthografisch sowie grammatikalisch geprüft und den Autoren Verbesserungen vorschlagen. Mit einem Autor konnte ich mich intensiver austauschen und ihn z. B. bei der Einholung der Bildrechte unterstützen.

In der Herstellung konnte ich bei der Begutachtung der Manuskripte gemäß den Satzanweisungen in verschiedenen Stadien helfen: Teils kamen die gesetzten Manuskripte von den Autoren, teils als Digitalplots vor dem Druck und als Aushänger nach dem Druck von der Druckerei. Hier galt es, Fehler und Unstimmigkeiten im Dokument anzumerken.

Überraschend interessant und vielfältig war für mich der Bereich Vertrieb. Ich habe viel erfahren über die ISBN, die Meldepflicht und den Meldevorgang von Neuerscheinungen, Buchpreisbindung, Sonder- und Subskriptionspreisen, Rabattgruppen, die Titellagerung in Deutschland, der Schweiz und den USA, außerdem zum Remissionsmanagement nach dem Verkauf. Dabei war auch Thema, wie Corona nicht nur die gesamte Verlagsarbeit, sondern insbesondere den Vertrieb beeinflusst hat. In einige Länder kann bis heute nicht geliefert werden. Während des gesamten Zyklus, den ein Buch im Verlag durchläuft, müssen immer wieder Daten in verschiedenen Systemen gepflegt werden, worin ein umfangreicherer Teil meiner praktischen Tätigkeit in der Abteilung bestand. Darüber hinaus habe ich mich um Rezensionsangebote neu erschienener Titel gekümmert, was die Recherche passender Medien, die Anfrage und den Versand des entsprechenden Exemplars umfasste. Zur Promotion des Herbstprogramms konnte ich Leseproben für die Webseite auswählen und mit kleinen Texten zusammenfassen.

Der einzige Wermutstropfen: dass die Buchmesse praktisch nicht stattfand. Da wären dann – in guter frühromantischer Manier – auch symphilosophische Gespräche mit den Autoren möglich gewesen.