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Friday, 20. November 2020 | Maria Safenreiter

Aus der Werkstatt des Kollegs, Teil 3 mit Maria Safenreiter

Hier geben Wissenschaftler und Wissenschaflerinnen des Graduiertenkollegs den Blick
auf ihren Schreibtisch frei: Sie schreiben oder sprechen darüber, welche Arbeit derzeit auf sie wartet,
worüber sie nachdenken, mit welchen romantischen Themen, Texten, Bildern und Musikstücken
sie sich gerade beschäftigen. In vielen Fällen sind das Aspekte einer Dissertation.
Es können aber auch im Entstehen begriffene Projekte und Bücher anderer Art sein.
Oder Gedanken und Nebenwege, auf die einen die Beschäftigung mit der Romantik führt.

Zum Film Undine

I.

Lange schon interessiere ich mich für die Filme von Regisseur und Drehbuchautor Christian Petzold. Noch länger interessiert sich Petzold für die Romantik, die er in seinen Filmen immer wieder aufs Neue produktiv macht. Sein aktuellster Film Undine (2020) ist die Übertragung eines der vielleicht prominentesten romantischen Kunstmärchen in das heutige Berlin, Friedrich de la Motte-Fouqués 1811 erschienener Undine. Schon in seinem 15 Jahre zuvor erschienen Film Gespenster orientierte sich Petzold an einer Märchenvorlage der Gebrüder Grimm, Das Totenhemdchen, in dem ein verstorbenes Kind die eigene Mutter als Gespenst heimsucht und sie darum bittet aufzuhören, seinen Tod zu betrauern, damit es endlich in den Himmel kann. Märchenhaftes und gelebte Realität werden in Petzolds Filmen zumeist miteinander verwoben, das Eine durch das Andere geradezu komplementiert: „Märchen können eine Welt neu erschaffen, in der Wünsche wahr werden können. Ich glaube, darum geht es auch im Kino.“[1] Während Petzolds Gespenster die Geschichte zweier obdachloser Mädchen in Berlin erzählt, von denen eins von seiner Mutter gesucht wird, lebt und arbeitet die Titelheldin Undine ebenfalls in Berlin und wird von ihrem Freund Johannes verlassen.

Laut Regisseur setzt der Film Undine den Anfang einer Trilogie, die die deutsche Romantik und drei der vier Elemente – Wasser, Erde und Luft – thematisieren soll.[2] Doch ist Petzolds Umgang mit der Romantik keine Eins-zu-eins-Übersetzung romantischer Motive oder ästhetischer Darstellungsweisen: Bereits in einem Interview zu seinem Film Barbara (2012) antwortete er auf die Frage, ob auch Romantik in dem Film ‚stecke‘, dass der Film zwar von der Malerei Caspar David Friedrichs und damit auch von der dahinter stehenden Weltdeutung der Romantik beeinflusst sei, aber nur nach Art und Weise, wie der Gegenwartskünstler Gerhart Richter Friedrich bearbeite: Barbara zeige demzufolge Romantik, jedoch eine „eingetrübte Romantik“[3], so Petzold. Ähnlich Undine: Die deutsche Romantik ist nach Petzolds Ansicht immer noch so allgegenwärtig, dass man um sie einfach nicht ‚herumkomme‘, vielmehr müsse man sie „von einer anderen Seite her“[4] angehen; neben dem Kino schlägt er diesmal die Bilderwelt des Impressionismus vor. Vor diesem Hintergrund möchte ich den Film und das Romantische an dem Film, und sei es noch so ‚getrübt‘, zum Thema dieses Blogbeitrags machen: Inwiefern findet hier Romantikaktualisierung – und zwar jenseits des bloßen Titels – statt?

II.

„In der [...] die gesamte [obere] Bildfläche de[s] Breitformat[s] einnehmenden Wasserfläche spiegeln sich Baum- und Buschgruppen, die fast urwaldhaft die Ufer überwuchern. Lediglich“ in der Bildmitte ist ein sich umarmendes Liebespaar zu sehen, halbliegend auf einem Holzsteg, der ins Wasser ragt; „alles andere wird von belaubtem Astwerk und [sich im See spiegelnden] Baumkronen amorph ausgefüllt [...][,] subtile, benachbarte Farben [...] in differenzierten Abstufungen“[5] verteilen sich über die Bildfläche. Diese Beschreibung von Claude Monets Matinée sur la Seine[6], einer Bildserie, die der vielleicht berühmteste Vertreter des französischen Impressionismus im Zeitraum 1896 bis 1898 erstellte, weicht nur dort, wo durch die Kursivierung kenntlich gemacht, von der Beschreibung eines Standfotos aus Undine ab. Das Bild zeigt Undine und Christoph, kurz nachdem der Taucher seine Freundin, die beim Baden fast ertrunken gewesen wäre, erfolgreich wiederbelebt hat. Undine atmet, sie lebt: „Wenn man das genau überlegt, sind die ganzen Bilder, die [...] am See gemacht [wurden], im Grunde genommen Bilder, die über den Umweg des französischen Impressionismus die deutsche Romantik nochmal bebildern.“[7] In seiner durch das Film-Still eingefangen, licht- und grünfarbendurchfluteten Totalen stellt Petzold die Augenblicklichkeit der Liebe zwischen Undine und Christoph dar, die im wahrsten Sinne der romantischen Liebesvorstellung, „eine völlige Einheit beider“[8], eines Sterblichen, Christoph, und einer Unsterblichen, der wiederbelebten Undine, zeigt. Von Friedrich Schlegel und den Frühromantikern wird die Liebe als Ideal, als ersehnter, wenn auch realiter nicht zu verwirklichender Zustand konzipiert, weshalb dieser im Sinne des universalpoetischen Konzepts auch immer wieder aufs Neue beschrieben bzw. kunstästhetisch dargestellt werden muss. Die Liebe, die sich zwischen Undine und Christoph ereignet und die Petzold in der beschriebenen Filmszene einfängt, liegt jedoch diesseits des romantischen Ideals; sie ist das, was alles um sie herum durch ihre Sinnlichkeit und Wahrhaftigkeit verzaubert. Wenn das Konzept der Liebe nach romantischer Vorstellung „nicht bloß das stille Verlangen nach dem Unendlichen [...][,] sondern auch der heilige Genuß einer schönen Gegenwart“[9] versinnbildlich oder – um es mit eigenen Worten zu sagen –, wenn sie für das steht, was mit Wunsch und Begehren konnotiert wird – den Mangel als die immer und ausschließlich in ihrem Verfehlen begriffene Vollständigkeit –, dann findet diese konzeptuelle Liebe in Petzolds filmischer Aktualisierung des Kunstmärchens in der Tat ihre ‚Trübung‘: In einer Zeit, in der die geliebte Person nicht mehr „als Mittler zu Gott, zum Übersinnlichen verstanden werden“[10] kann, bleibt am Ende vom Gefühl der Unerfülltheit und Sehnsucht nur die Traurigkeit über den Verlust. Den universellen Anspruch, den Schlegel und die Frühromantik in das Konzept von Liebe hineinprojizieren, insofern das Gefühl der Einheit eines ‚Ich‘ mit einem ‚Du‘ für die Einheit vom Diesseitigen mit einem Jenseitigen steht, aktualisiert Petzold, indem er ihn – wenn man so will – urbanisiert und infolgedessen konkret auf die Stadt Berlin zuspitzt: „Berlin ist eine Stadt, die auf Sümpfen gebaut ist, die im Grunde genommen eine Welt trockengelegt hat, um Großstadt zu werden. Und sie hat keine eigenen Mythen, sie ist eine zusammengesetzte, moderne Stadt.“[11] Durch die Liebe von Undine und Christoph, deren Liebesgeschichte sich neben dem Stausee bei Brügge (Nordrhein-Westfalen) v.a. in Berlin – der realen Metropole und vor dem Modell dieser selbst – abspielt, wird diese mythenleere und entzauberte Stadt buchstäblich ‚verwunschen‘. Und so wie Märchen eine Welt neu erschaffen können, in der Wünsche wahr werden können, kreiert Petzold mit Undine einen Film, in dem der Mythos um den aus dem Wasser kommenden Elementargeist Undine nach Berlin (zurück)kehrt und eine Einheit mit dieser Stadt formt – und sei es nur für einen Augenblick, für ein Lichtspiel.

[1] Interview mit Christian Petzold: undine.piffl-medien.de/downloads/artwork-texte/Undine_PH_Dt_DS_4 MB.pdf (zuletzt aufgerufen am 29.09.2020).

[2] Vgl. www.ksta.de/kultur/-schicksale-statt-thesen—32266060 (zuletzt aufgerufen am 1.10.2020) sowie www.ksta.de/kultur/-schicksale-statt-thesen—32266060 (zuletzt aufgerufen am 1.10.2020).

[3] Interview mit Christian Petzold 2012: www.monopol-magazin.de/eingetrübte-romantik (zuletzt aufgerufen am 1.10.2020).

[4] Ebd.

[5] Matthias Arnold: Claude Monet, Hamburg: Rowohlt Taschenbuchverlag, 1998, S.131f.

[6] „Bras de Seine près de Giverny“, 1897, Paris: Musée d’Orsay; „Matinée sur la Seine, effet de brume“, 1897, New Yor: The Mr and Mrs George Richard Collection (in: Daniel Wildenstein: Nos. 969 – 1595 [Monet: Catalogue raisonné = Werkverzeichnis], Bd.3 des Gesamtwerks, Köln: Taschen, 1996, S.624; 611):   

[7] Interview mit Christian Petzold 2020.

[8] Friedrich Schlegel: „Dichtungen“, in: ders.: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, hg. v. Ernst Eichner, Abt.1: Kritische Neuausgabe, Bd.5, München; Paderborn; Berlin: Verlag Ferdinand Schöningh; Zürich: Thomas-Verlag, 1962, S. 60.

[9] Ebd.

[10] Sandra Kerschbaumer: Immer wieder Romantik: modelltheoretische Beschreibungen ihrer Wirkungsgeschichte, Heidelberg: Universitätsverlag Winder, 2018, S. 66.

[11] Interview mit Christian Petzold 2020.

Undine am See

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