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Wo seid ihr hin? - Fragen an Patricia Kleßen
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Wo arbeitest du derzeit?
Tatsächlich weiterhin in Jena. Ich bin seit November 2020 in der Geschichtsdidaktik angestellt und arbeite im Forschungsprojekt ‚Weltoffen Lernen‘ mit. Meine Aufgabe ist es zurzeit, Geschichtslehrer*innen an Thüringer Schulen zu ihren Erfahrungen im Umgang mit Diversität zu interviewen. Da das Projekt im Lockdown angelaufen ist und die ersten Erhebungen online stattfinden, wäre die Frage nach dem wo aber richtiger mit „im Homeoffice“ beantwortet.
Was ist das Beste an deinem Beruf, was das Schlechteste?
Das Beste: die ständig neuen Herausforderungen und dass man merkt, wie man an ihnen wächst – meistens erst hinterher, aber das macht ja nichts.
Das Schlechteste: Dass außerhalb der Uni oft nur schwer zu vermitteln ist, was man hier eigentlich genau tut. In der Promotionsphase hatte ich deshalb oft das Gefühl, zwischen den Stühlen zu sitzen – beruflich noch nicht klar genug zu sein und zu Hause nicht mehr.
Gab es zwischen Abschluss deiner Promotion und Beginn deiner jetzigen Stelle wichtige Stationen?
Wenn der Abschluss der Promotion die Disputation ist, waren nur drei Wochen dazwischen. In der Zeit habe ich noch einen Artikel für die Romantik-Plattform zu Ende geschrieben. Zwischen Einreichen der Dissertation und Beginn der neuen Stelle lagen allerdings: ein paar Monate Arbeitslosigkeit, viele Bewerbungen, Projektskizze schreiben für die Anschubfinanzierung am Kolleg, ein paar schöne Monate wieder da sein, der erste Lockdown, auf Gutachten und Termin für die Verteidigung warten.
Wie begegnet dir die Romantik in deinem Berufsalltag?
Beruflich begegnet mir die Romantik derzeit nur, wenn ich an der Überarbeitung meiner Dissertation sitze. Privat ist sie mir da noch präsenter. Beim abendlichen Vorlesen frage ich mich zum Beispiel weiterhin oft, wie viel Romantik in den Märchen von Astrid Lindgren oder in Ronja Räubertochter steckt.
Welche romantischen Werke sind deine Wegbegleiter?
In meinem Arbeitszimmer hängt ein kleiner Kunstdruck von Caspar David Friedrichs „Die Lebensstufen“. Abgesehen davon, dass ich es einfach gerne anschaue, berührt mich auch, wie nah Zusammenkunft und Abschied der Generationen beieinander liegen und wie sich jüngere und ältere Versionen des Ichs begegnen. Es erinnert mich an die Szene aus Tschick, in der Mike Klingenberg bewusst wird, dass die vielen ‚beigen Rentner‘, die aus den Reisebussen drängeln, auch einmal jung waren, Hoffnungen und Pläne hatten und dass er wiederum vielleicht auch mal so ein beiger Rentner wird. Oder an die Memoiren von Annie Ernaux, die ihre früheren Ichs nur mehr ethnografisch erkunden kann, weil sie keinen unvermittelten Zugang zu ihnen findet. Kurzum, es erinnert mich an die Schwierigkeit, ein „ganzes Leben“ wirklich begreifen zu können. (Wenn sich jetzt irgendwo ein*e Kunstwissenschaftler*in die Haare rauft, tut mir das sehr leid.)
Was hast du am Graduiertenkolleg gelernt, wovon du heute profitierst?
Meines Erachtens macht die Auseinandersetzung mit der romantischen Ursprungsepoche und ihren Aktualisierungen wahnsinnig fit darin, Ambivalenzen und Widersprüche mit der erforderlichen Differenziertheit und Gründlichkeit zu besehen. Das gilt bestimmt für die Promotionsphase allgemein, aber ich bin sicher, dass die thematische Ausrichtung des Kollegs zu diesem Lernprozess beigetragen hat. Ansonsten noch so viel Weiteres: Wertschätzung anderer Disziplinen, strukturiertes Arbeiten, zielgruppenspezifisches Präsentieren, Ausdauer, Kritikfähigkeit und Vertrauen darauf, dass man in der Fremdwahrnehmung meistens ein gutes Stück besser abschneidet als in der Selbstwahrnehmung.
Welcher Illusion gibst du dich gern hin?
Zwei Wochen (!) denke ich nun über diese Frage nach und jede Antwort bereitet mir ein komisches Gefühl im Bauch. Im Moment habe ich nur Hoffnungen und legitime Ansprüche an ein gutes Leben für uns alle. Fragt mich vielleicht einfach in zwanzig Jahren nochmal.