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Wanderung auf den Jenaer Fuchsturm
Das Riesen-Grab. Eine Volkssage
Vor vielen tausend Jahren lebte
Ein Riese an der Saale Strand,
Vor dem die Gegend rings erbebte,
Denn furchtbar war er Stadt und Land:
Ein Wüthrich war’s, der mit verstockter Seele
Nur drauf bedacht, wie er die Menschen quäle.
In Jena’s Nähe trieb vorzüglich er
Sein grausam ungeschliffnes Wesen,
Er hatte sich das schöne Thal umher
Zu seinem Boudoir erlesen.
Hier schmaus’te er, und feierte Gelage
Oft an der Berge grünem Rasenrand,
Wo noch von ihm, bis zu dem heut’gen Tage,
Ein Stück der Löffel wird genannt.
Allein vor allem andern zog
Was er auch Schlimmes denk’ und thu’,
Wie er auch schwelgte, schwur und log,
Ein Unrecht ihm den Zorn der Götter zu:
Er kümmerte auf alle Art das Leben
Der Mutter, die ihm einst das seinige gegeben.
Oft, wenn sie ihn, mit mütterlichen Worten,
Sein wüstes Leben abzuändern bat,
Da tobte er, in gräßlichen Accorden,
Und schmähte sie mit Frevel-Wort und That.
Nur toller trieb er’s dann auf seinen Bergen,
Und schlimmer ging es nur den armen Zwergen –
Wie er die andern Menschenkinder hieß –
Und mancher kam dann in sein Burgverließ.
Man warnte ihn, man führt’ ihm zu Gemüthe,
Wie böse Kinder oft die Strafe fand,
Wie streng der Zorn der Götter ihnen glühte,
Und wie sie reizten der Vergeltung Hand;
Allein nichts thät sein arges Wüthen stillen,
Er sprach den Göttern wie den Menschen Hohn,
Und blieb mit bösem, ungezähmten Willen
So nach wie vor, ein ungerath’ner Sohn.
Einst, als er auch der guten Mutter Mahnen
Mit der gewohnten übeln Laun’ ertrug,
Da wich sein Grimm so ganz aus allen Bahnen,
Daß er mit freveln Händen nach ihr schlug –
Und plötzlich hüllt den Himmel dunkle Nacht,
Der Sturmwind braust, der laute Donner kracht,
Ein Aufruhr scheint das Thal rings zu erschüttern,
und des Gebirges starre Seiten zittern.
Der Frevler stürzt betäubt zur Erde nieder,
Sie wölbt sich ihm zu schnell gefund’nem Grab;
Ein Berg bedeckt alsbald die Riesen-Glieder,
Und tiefer sinkt er in den Grund hinab. –
Und als nun längst verhallt des Lästrers Stimme,
Und längst man Ruhe fand vor seinem Grimme,
Da wuchs, zu aller bösen Kinder Graus,
Der kleine Finger ihm zum Grab heraus,
Den man von weitem schon erkennt,
Und den man jetzt den Fuchsthurm nennt.
Henriette Schubart, Das Riesen-Grab. Eine Volkssage, in: Stephan Schütze (Hg.): Taschenbuch für das Jahr 1815. Der Liebe und Freundschaft gewidmet, Frankfurt am Mayn 1815, S. 279–282 (online nachzulesen hier)