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Dienstag, 11. Juli 2017

Mond.Nacht.Musik

Kaum ein anderes Werk wird man so unmittelbar mit Joseph von Eichendorff assoziieren wie die „Mondnacht“. Das 1837 veröffentlichte Gedicht bündelt einige der kraftvollsten Topoi romantischen Denkens: Den Blick in die Weite, die Motive der Nacht und der Natur sowie die Sehnsucht der Seele nach der »ersehnten anderen oder zweiten Welt, die eigentlich unsere erste und letzte bleibt«, wie es Jean Paul ausdrückt. Es verwundert daher nicht, dass zahlreiche Komponisten sich im 19. Jahrhundert, aber auch darüber hinaus, von dem Gedicht zu musikalischen Interpretationen angeregt fühlten. Allein für das 19. Jahrhundert lassen sich mindestens 40 Liedvertonungen nachweisen. Nur wenige hiervon konnten sich allerdings so nachhaltig im musikalischen Repertoire etablieren wie die frühesten „Mondnacht“-Lieder, komponiert von Robert Schumann (op. 39, Nr. 5, komp. 1840) und Johannes Brahms (WoO 21, komp. 1853). Viele Vertonungen – beispielsweise jene von Emanuel Moór (1895), Amy Fischer (ca. 1921) oder Philipp Nabholz (1923) – sind lediglich in historischen, heutzutage schwer zugänglichen Notendrucken überliefert. Von den wenigsten „Mondnacht“-Vertonungen liegen aktuell Einspielungen vor.

Die Veranstaltung „Mondnacht“-Vertonungen im Wandel der Zeit, die am Abend des 26. Aprils 2017 am Institut für Musikwissenschaft Weimar-Jena stattfand, beleuchtete neun ausgewählte „Mondnacht“-Lieder in diachroner Perspektive. Unter der künstlerischen Leitung des Weimarer Gesangsprofessors, Karl-Peter Kammerlander, führten Anna Maria Schmidt (Sopran), Vera Bitter (Mezzosopran) und Lucija Dogan (Klavier) musikalisch durch den Abend und brachten gerade die unbekannteren Kompositionen nach Jahrzehnten erstmals wieder zum Klingen. Für die wissenschaftliche Seite zeichnete Prof. Dr. Christiane Wiesenfeldt gemeinsam mit Maria Behrendt vom Institut für Musikwissenschaft Weimar-Jena verantwortlich, indem sie die jeweiligen Lieder anmoderierten und die jeweiligen Diskussionen im Anschluss leiteten.

Eichendorffs Gedicht schildert eine träumerische Szenerie: Himmel und Erde finden sich im stillen Kuss, der nächtliche Wald rauscht leise und die Seele spannt, angeregt von dem Zauber der Nacht, ihre Flügel auf, „als flöge sie nach Haus“. Die unterschiedliche Art und Weise, auf die die Komponisten diese ersehnte Heimat in ihren Vertonungen nachzeichnen, erstaunte im Laufe des Abends stets aufs Neue: Während der Seelenflug bei Schumann scheinbar mühelos geschieht, nimmt die Seele bei Brahms – nach einem zunächst volksliedhaft-einfachen Beginn – eine Reihe von harmonischen Irrwegen, bevor sie ihren Hafen findet.

Auch der Himmelskuss stellt sich unterschiedlich dar: Während bei Friedrich Kiel ein zarter Vorschlag in der rechten Hand über eine Oktavsprung die Berührung der Elemente andeutet, entwickelt Eduard Lassen auf einem gebrochenen Akkord eine über vier Oktaven aufgespannte Himmelsfahrt. Unterschiedlich verhält es sich auch mit der Nähe zum Gedichttext: Schumann etwa setzt Eichendorffs Verse unverändert um. Ludwig Thuille hingegen wiederholt die erste Strophe, bevor er zum transzendierenden Seelenflug ansetzt, was den klassischen Aufbau von These – Antithese – Synthese außer Kraft setzt.

Der Weg in die ersehnte Heimat sah während der musikalischen Hochromantik 1840 anders aus als im Zwischenkriegs-Deutschland von 1923. Während der Gefühlsaudruck stetig gesteigert wurde, schien die romantische Doppelbödigkeit zunehmend an Gewicht zu verlieren, zugunsten einer Forcierung von Eindeutigkeit. Dennoch zeigt die andauernde Faszination an  Eichendorffs „Mondnacht“ – eine der jüngsten Vertonungen, die nicht im Konzert erklang, stammt immerhin von 2014! – dass die romantischen Sehnsuchtskonzepte nichts von ihrer Bedeutung verloren haben, ja vielleicht sogar aktueller sind denn je.