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Drei Fragen an: Lisa Kunze
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1. Was verbinden Sie ganz allgemein mit ‚Romantik‘?
Ein Dahingehn und Träumen, in Bilder süß gewiegt, lächelnd der luftigen Träume und doch vom Traum beglückt – Wundermähr und Zaubergraus – geheimnißreiche Wälder, von wilder Jagd durchzogen, erfüllt von Irrlichtflimmer – ewige, demantschimmernde Urnacht in Bergwerk und Stollen und Höhle – ein Land im Zauberschlafe, in langer Winternacht – ein bergesaltes Männlein, bucklicht und verbogen, in schleichendem, trippelndem Lauf – ein Jüngling, nie gesättigt vom Durst, der stets ihn drückt, mondsüchtig und bangglühend vor Schmerz und Liebessehnen, das Auge thränenmüde, das Herze kummerschwer.
[aus: Friedrich Begemann, Blumen von der Saale. Episches und Lyrisches, Jena 1828.]
2. Womit genau beschäftigen Sie sich in Ihrem aktuellen Forschungsvorhaben? Wie setzen Sie sich in Ihrem Forschungsprojekt mit dem Phänomen ‚Romantik‘ auseinander?
Mit Leben und Werk des vergessenen Dichters Friedrich Begemann (1803–1829). Interessant ist er mit Blick auf das Phänomen ‚Romantik‘ sowohl in biografischer als auch in literarischer Hinsicht. Er erscheint gewissermaßen als Verkörperung eines zwischen zwei Phasen der Romantik Stehenden, in dessen Leben und Texten sich die Umbrüche der Zeit abzeichnen: Seine Biografie macht mit ihrem Fragmentcharakter den Eindruck einer Übertragung frühromantischer Schreibweisen ins tatsächliche Leben – eine träumerische und zugleich rastlose Lebensführung, die nirgends verweilt und nichts vollendet. Dem gegenüber stehen seine burschenschaftlich-nationalliberalen Tendenzen, betonte ‚Vaterlandsliebe‘ und patriotischen Interessen. Mit seinem fragmentarischen dichterischen Werk bemüht er sich um Einstimmung in die gegenwärtige politisierende Nationalromantik, mit der Idealisierung von Volk und Volkstümlichkeit, der Neuentdeckung des Mittelalters, der germanischen Mythologie und Heldendichtung. Zugleich zeigen sich mit zunehmender Intensität – in einer den Zeitläufen entgegengerichteten Bewegung – dem zuwiderlaufende Tendenzen, die vergangene frühromantische Traditionen neu aufgreifen.
3. Im Graduiertenkolleg „Modell Romantik“ wird davon ausgegangen, dass die Romantik modellbildende Qualitäten aufweist. Können Sie etwas damit anfangen?
Gewiss finden sich bis in die Gegenwart Konzepte, Denk-, Gestaltungs- und Anschauungsweisen wieder, die in der Romantik geprägt wurden. Ob es Kinderfiguren in den Geschichten von Astrid Lindgren sind, die sich auf das romantische Bild von Kindheit und Kindsein zu beziehen scheinen – ob es die Fotografien von Elger Esser sind, die in ihrem Spiel mit Licht und Horizont ähnlich transzendente Landschaftsansichten zeigen wie die Gemälde Caspar David Friedrichs – oder ob es das von W. G. Sebald im Werk Peter Handkes analysierte und im eigenen Werk praktizierte Konzept einer Heilung der katastrophischen Weltläufe in der und durch die Kunst ist, das an das romantische Konzept einer Kunstreligion anknüpft.
Dr. des. Lisa Kunze ist Postdoktorandin in Göttingen. Vom 15. bis 26. November 2021 war sie zu Gast am Graduiertenkolleg "Modell Romantik".