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Mittwoch, 20. Oktober 2021 | Caroline Will

„Die romantische Dichtart ist noch im Werden“

Romantische Kontinuitäten und Variationen in der neueren Literaturwissenschaft - eine Exkursion nach Greifswald

Wenn Romantik-Forscher:innen aufeinandertreffen, geht es allermeist um die Frage, was Romantik denn sei. Die Romantik, eine Romantik, Romantiken? Da nun bereits drei Jahre seit Beginn unserer Kohorte vergangen sind, konnten wir diesmal einen Schritt weitergehen zur Frage: Wie wurde auf die Romantik im Laufe der Jahrzehnte ideologisch reagiert? Die erste und letzte mehrtägige Exkursion unserer zweiten Kohorte führte uns in die Hansestadt Greifswald. Dort gingen wir dieser Frage in zwei Workshops nach.

Exkursionen sind eine gute Gelegenheit, seine Kolleg:innen noch einmal neu und von anderer Seite kennenzulernen. Nach der fünfstündigen, vergnüglich-vorfreudigen Zugfahrt und einem Missverständnis mit der Zimmerbuchung, das ein Kollege so eloquent zur Klärung brachte, dass einige von uns mit einem Suite-Upgrade herauskamen, eilten wir zum Pommerschen Landesmuseum, das für zwei Tage unsere vorzügliche Exkursionsstätte wurde.

Den ersten Workshop zum Thema „Romantik-Bilder und -Deutungen in der Nachkriegsgermanistik der Bundesrepublik und der DDR“ leitete Prof. Dr. Klaus Birnstiel vom Institut für Deutsche Philologie der Universität Greifswald. Diskutiert wurde ein 1980 herausgegebener Text des Westdeutschen Klaus Peter über die Romantikforschung und -deutung seit 1945 und ein ursprünglich 1975 in der DDR erschienener Text von Claus Träger über „Ursprünge und Stellung der Romantik“. Peter ordnet die Romantik-Rezeption seit 1945 in die Perspektiven „historisch-philologische Arbeit“, „die von der Studentenbewegung geforderte Wissenschaft gesellschaftlicher Relevanz“, „Rezeptionsforschung“ und „Poststrukturalismus und Psychoanalyse“. In der DDR hingegen wurde die Romantik als bürgerliche Bewegung abgelehnt, sodass Claus Träger mit seinem Aufsatz damals eine Innovation darstellte. Träger fordert für die Bewertung der Romantik „Gerechtigkeit“.

Eine bei der Diskussion in die Runde geworfene Frage lautete: Wie kommt man überhaupt auf den Gedanken, eine erst einmal künstlerische Epoche politisch zu instrumentalisieren? Wir kamen überein, dass selbst heute eine Positionierung zur Romantik eine Positionierung der fachpolitischen Ausrichtung bedeutet. Nicht zuletzt ist unser Graduiertenkolleg „Modell Romantik“ Ausdruck dessen. Es ist also nicht zu viel gesagt, wenn man die Geschichte der Germanistik mitunter als eine Geschichte der Romantikdeutungen liest.

Den zweiten Workshop leitete der Kollegiat Daniel Neumann. Diskussionsgrundlage waren hierfür Aufsätze von Peter Szondi und von Paul de Man, die jeweils Friedrich Schlegel und sein Ironie-Konzept behandeln. Gemeinsam rekonstruierten wir den Schlegelschen Ironie-Begriff. Prof. Dr. Eckhard Schumacher von der Universität Greifswald, der zu Schlegels Ironie promoviert hat, erklärte, bei Friedrich Schlegel könne man als Methode eine subtile Verschiebung des Ironie-Begriffs ausmachen: Vom herkömmlichen „Das eine sagen, das andere meinen“ hin zu dem, was wir als ‚romantische Ironie‘ verstehen, nämlich den Bruch mit dem Fiktionsvertrag. Die Subtilität der romantischen Ironie ist auch das, was den Poststrukturalismus an ihr fasziniert: Die Ironie arbeitet die Kippfigurhaftigkeit des menschlichen Daseins heraus. Die Welt wird zum Witz.

Im Anschluss an die beiden Workshop-Inputs genossen die Teilnehmer:innen die Greifswalder Gastronomie. Zum ersten Mal seit langer Zeit konnten alle nun genießen, was wissenschaftlichen Austausch auch ausmacht: Sich an der Kulinarik des Restaurants „Goldmarie“ erfreuen und dabei alte und neue kollegiale Bekanntschaften zwischen Jena und Greifswald vertiefen. Nicht nur Romantiker:innen wissen, dass die geistreiche Konversation essenziell für die Wissenschaft ist.

Ein zweiter Schwerpunkt der Exkursion war Caspar David Friedrich. So gab es für uns am nächsten Tag gleich zwei Führungen zum Maler durch dessen Geburtsstadt. Der Kurator Mario Scarabis entfaltete uns im Pommerschen Landesmuseum zunächst dessen Baugeschichte, bevor wir die Caspar David Friedrich-Ausstellung in der Gemäldegalerie betraten. Die Gebäudeteile des Landesmuseums verbindendes Herzstück ist die sogenannte Museumsstraße, die vor der Kompletteinfassung mit Glas tatsächlich eine Straße war. Wir staunten nicht schlecht, als wir erkannten, dass wir hier an Ort und Stelle gestern noch im Seminarraum saßen. Der mit Leinwand, Konferenztischen und Trennwand begrenzte Raum hatte sich in einen lichten Sitzbereich verwandelt. Scarabis wies auch auf die Baugrube hin, die einmal ein kapellenartiger Eingang zu den Friedrich-Gemälden werden sollte – Romantiker:in, wer da an Kunstfrömmigkeit denkt. Die vorrangige Erkenntnis von Scarabis leichtfüßiger Erläuterung war die vielschichtige Zusammensetzung von Friedrichs Gemälden: So setzte der Maler kurzerhand die hiesige Ruine Eldena vor das Riesengebirge und die Wolkenformation, so verriet Scarabis, sei eigentlich ein typischer Meereshimmel.

Die zweite Führung war eine Stadtführung, die sogenannte Bildwegführung, mit einem Mitarbeiter des Caspar-David-Friedrich-Zentrums. Von Friedrichs Geburtshaus, über den Dom St. Nikolai bis zum Wall, wieder zum Marktplatz und zum klug gestalteten Caspar-David-Friedrich-Denkmal erwanderten wir den Lebensweg Friedrichs, nicht zuletzt anhand vieler Gemälde, die sich durch die Orte selbst erschlossen. Tenor unseres Stadtführers war, Friedrich sei doch kein so düsterer Melancholiker, wie ihn die Kunstgeschichte gern charakterisiert. Am Denkmal, das sich mit den Lichtstrahlen am Friedrich-Gemälde „Tetschener Altar“ (auch: „Das Kreuz im Gebirge“) orientiert, steigt Friedrich wie ein Wanderer aus dem Bronzerahmen, körperlos wie eine romantische Denkfigur.

Einige Kolleg:innen blieben anschließend für einen kurzen Urlaub in der Gegend. Ich lieh mir am letzten Tag ein klappriges Usedom-Rad und fuhr nach Wieck. Der kürzeste Weg ans Meer. Dort schnell ein Fischbrötchen. Auf dem Rückweg zum Kanal entdeckte ich eine Abzweigung zur Ruine Eldena. Sie ist in der Tat so zugewachsen und mitten in der Stadt, dass Friedrich ganze Arbeit geleistet hat, sie vor die romantische Kulisse des Riesengebirges zu stellen.

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Die Exkursion fand vom 22. bis 24. September 2021 statt und wurde von Daniel Neumann organisiert.

Mario Scarabis und Prof. Dr. Klaus Birnstiel von der Universität Greifswald im Gespräch.

Der zweite Exkursionstag begann für die Kollegiatinnen und Kollegiaten mit einer Führung durch das Pommersche Landesmuseum.

MArio Scarabis, Museologe am Pommerschen Landesmuseum, führt durch die Gemäldeausstellung zu Caspar David Friedrich.

Mario Scarabis erläutert Caspar David Friedrichs Bilder.

Nach der Führung durch das Pommersche Landesmuseum folgte noch ein Stadtführung auf dem "Bildweg", der an wichtigen Lebens- und Wirkungsorten Caspar David Friedrichs vorbeiführt.

Keine Exkursion ohne abschließendes Gruppenbild: Hier die Kollegiatinnen und Kollegiaten mit dem Künstler in Bronze am Caspar-David-Friedrich-Denkmal.