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Das Unendliche im Endlichen? Besuch der Ausstellung „Romantik und Gegenwart“ in der Kunstsammlung Jena
Gleich neben den Abendwolken über dem Riesengebirge, einem kleinen Ölgemälde des romantischen Malers Carl Gustav Carus, lässt sich in den Räumlichkeiten der Jenaer Kunstsammlung ein zunächst unerwartetes Motiv antreffen: Das berühmte Schwarze Quadrat von Kasimir Malewitsch, ein gutes Jahrhundert nach der historischen Romantik entstanden, prangt im Mittelpunkt einer Kohle-Pastell-Malerei aus dem Jahr 2014 und soll, so der Titel der Ausstellung, nun ebenfalls unter dem Stichwort Romantik gelesen werden. Doch etwas hat sich verändert im Vergleich zum bekannten Original: Das Schwarze Quadrat ist kleiner geworden und wird nun, statt des kontrastierenden Weiß in der Vorlage, von einer hellblauen Gebirgslandschaft eingerahmt. An seiner Unterseite wird das Rechteck gar von moosbedeckten Felsen überdeckt, sodass sich das Quadrat in einer romantischen Naturszenerie wiederfindet, die sich offenbar ihren Weg in eine formalisierte Moderne gebahnt hat. Display nennt der Erfurter Künstler Wieland Payer diesen Mix der Traditionen, und im Kontext der Ausstellung erhält das Gemälde eine neue, bereichernde Lesart: Es zeigt auf den Einbruch des Romantischen in die zeitgenössische Kunst der Gegenwart.
Immer lauter werden die Stimmen einer Rückkehr der Romantik in die Gegenwartskultur, und die Gründe und Variationen einer solchen Traditionserzählung werden am Graduiertenkolleg Modell Romantik gleich in einer Vielzahl von Projekten hinterfragt. Die Kunstsammlung Jena liefert ganz unfreiwillig ein praktisches Beispiel dafür, wie eine solche Modellbildung funktionieren kann: Unter dem gemeinsamen Schlagwort Romantik finden sich dort verschiedenartige Gemälde, Fotographien und Installationen aneinander gereiht, mit denen sich gar eine transhistorische Kontinuität romantischer Darstellungsverfahren behaupten ließe. Da mischen sich Phillip Otto Runge mit dem Surrealisten Max Ernst, der symbolistische Maler Ludwig von Hofmann wird mit geradezu phantastischen Gegenwartsgemälden Martin Eders kontrastiert. Gleichzeitig aber entwirft die Auswahl damit ein eigenes Bild, oder besser: ein Modell von Romantik, indem die Besucher*Innen in ihrer eigenen Erkundung nun Gemeinsamkeiten zwischen den Werken suchen, finden und dann als romantisch betiteln können. Romantische Bilder im engeren Sinne, nämlich aus der historischen Romantik um 1800, sind damit gar in der Unterzahl, was der Sammlung aber keinen Abbruch tut: Hier geht es vielmehr um das aktuelle Verständnis von Romantik als um die historische Bewegung des 19. Jahrhunderts.
Ob jede*r Betrachter*in nun einen romantischen Kern in den ausgestellten Einzelwerken entdecken kann, das mag variieren. Einige gemeinsame Nenner legt uns die Kunstsammlung jedenfalls allein durch ihre Auswahl nahe, so insbesondere die Themen Natur und Natürlichkeit, dynamische Formen, aber auch Liebe und Phantastik. Auch die romantische Ironie fehlt hier nicht, wie die Kollegiat*Innen in einem Selbstversuch an der Machine of Love von Oscar Prinsen, einer Installation aus dem Jahr 2003, testen konnten. Auf eine besondere Kontinuität verweist schließlich die Überschrift der Ausstellung, das ‚Unendliche im Endlichen‘, sodass eine spezifische Zeitgebundenheit der Einzelwerke gegenüber der thematisierten Ewigkeit heraussticht. Ob die Arbeiter das Denkmal für die Blaue Blume in der gleichnamigen Emaillemalerei aus dem Jahr 2014 nun gerade aufstellen oder abbauen, das lässt der Künstler Moritz Götze mit Blick auf eine genuine Aktualität der Romantik zunächst unbeantwortet. Mit einem Exemplar von Heinrich von Ofterdingen in der Hosentasche stehen die Zeichen für eine Re-Aktualisierung allerdings, wie sie auch die Ausstellung der Kunstsammlung Jena vorführt, durchaus günstig.
verfasst von Raphael Stübe