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Montag, 17. Juli 2023 | Catherine Weis

Besuch von Reichardts Garten in Halle Giebichenstein

Exkursionsbericht

* * * * *

Wenn ich ein Vöglein wär
Und auch zwei Flügel hätt,
Flög ich zu dir;     
Weils aber nicht kann sein,
Weils aber nicht kann sein,
bleib ich allhier.
    

Ein Tagesausflug führte Mitglieder des Kollegs zum Abschluss des Sommersemesters in die „Herberge der Romantik“. Als eine solche wird in der Literaturgeschichte das ehemalige Anwesen von Johann Friedrich Reichardt (geb. 1752 in Königsberg – gest. 1814 in Giebichenstein) bezeichnet. Reichardt, der auf Betreiben Kants in Königsberg studiert hatte, in seiner Sturm-und-Drang-Zeit ausgedehnte Reisen unternahm und als Unterstützer der Französischen Revolution galt, stammte aus einer musikalischen Familie. Er machte sich als Kapellmeister am Berliner Hof Friedrich II., vor allem aber als Komponist einen Namen. Bekannt geworden ist er durch seine zahlreichen Vertonungen romantischer Lieddichtung, wie der Version des obenstehenden Herder-Liedes. Unter seinen Zeitgenossen war er darüber hinaus als Integrationsfigur romantischer Geselligkeit geschätzt.

Den Ort dieser Geselligkeit bildete das von ihm 1794 erworbene Gut in Giebichenstein, das damals aus Burg, Amtsgarten und Garten bestand. Leider besteht das Wohnhaus heute nicht mehr, als Gedenkort ist nur der nach wie vor wunderschöne Garten erhalten geblieben, der im romantischen Zeitalter eine reizvolle Kulisse für künstlerische Inszenierungen und Ausblicke in das Umland sowie auf die Burgruine Giebichenstein bot.

Reichardts Gastfreundschaft folgten viele Künstler:innen der Zeit, denen er in seinem Anwesen die Möglichkeit zum künstlerischen und geistigen Austausch bot und sie förderte. Unter seinen Gästen waren namhafte Romantiker:innen, wie Achim von Arnim, Clemens Brentano, Bettine Brentano, die Brüder Schlegel, Ludwig Tieck, Friedrich von Hardenberg sowie Goethe, der einen Rosenstock in Reichardts Garten gepflanzt haben soll. Reichardt verehrte Goethe, der zwischen 1802 und 1804 insgesamt dreimal in Giebichenstein zu Besuch war, und stellte zahlreiche Denkmäler im Garten auf.

Unsere Begleiterin, Frau Dr. Heidi Ritter, führte uns auf den Spuren eines anderen Besuchers, des jungen Joseph von Eichendorff, durch die Anlage. In lauen Sommernächten soll er als Student sehnsuchtsvoll an den Mauern des Gartens den von dort aus herübertönenden Klängen und Gesprächen gelauscht haben.

Während seiner Studienzeit in Halle soll Eichendorff zudem an einer malerisch gewundenen Stelle der Saale in der Nähe der Burgruine Giebichenstein häufig gebadet haben, woran eine vor einigen Jahren errichtete, doch arg karikierende Statue des halb-bekleideten Dichters erinnert.

Von hier aus bestiegen wir eine Anhöhe über der Saale, wo eine steinerne Bank, die sogenannte Eichendorffbank, zur Erinnerung an die Zeit des romantischen Dichters in der Saalestadt errichtet wurde. In einen daneben errichteten Obelisken sind die ersten beiden Strophen des Gedichts „Bei Halle“ eingemeißelt, das Eichendorff 1840 rückblickend geschrieben hat:

Da steht eine Burg überm Tale
Und schaut in den Strom hinein,
Das ist die fröhliche Saale,
Das ist der Giebichenstein.

Da hab ich so oft gestanden,
Es blühten Täler und Höhn,
Und seitdem in allen Landen
Sah ich nimmer die Welt so schön!

Zum Abschluss unseres Kolleg-Ausflugs haben wir schließlich die Franckeschen Stiftungen in Halle besucht. Die von dem Theologen und Pädagogen August Hermann Francke (geb. 1663 in Lübeck – gest. 1727 in Halle) gegründete Institution gehört zu den bedeutendsten historischen Bildungseinrichtungen Europas und ist ein Referenzort für Halle als Wissenschaftszentrum. Beeindruckt waren wir vor allem vom Besuch der Kunst- und Naturalienkammer. Eine Sammlung von insgesamt 3000 Objekten aus unterschiedlichen Regionen der Welt war Bestandteil vormoderner Wissensvermittlung und befindet sich heute im historischen Waisenhaus. Zu sehen sind ausgestopfte Tiere, wie ein an der Decke hängendes Nil-Krokodil, aber auch historische Geräte der Astronomie, daneben wiederum zahlreiche Kunstartefakte kolonialer Herkunft, vor allem aus Indien und Südamerika. Die Wunderkammer gilt als das einzige vollständig erhaltene barocke Kuriositätenkabinett in Deutschland.

Nach dieser ebenso anregenden wie entspannenden Exkursion zu den Schauplätzen der Aufklärung und der Romantik kehrten wir mit neuer Schaffenskraft in unsere Forschungsstuben zurück.

Denkmal für Johann Friedrich Reichardt in seinem ehemaligen Garten.

Ein Denkmal Joseph von Eichendorffs erinnert an die Badeausflüge des Dichters.

An dieser malerischen Stelle der Saale soll Joseph von Eichendorff des Öfteren gebadet haben.

Kunst- und Naturalienkammer im historischen Waisenhaus der Franckeschen Stiftungen

Mitglieder des Kollegs am 4. Juli 2023 in Reichardts Garten.