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Bericht zum Graduiertenworkshop „Romantische Philosophie“
Romantik und Philosophen stehen in einem spannungsreichen Abgrenzungs- und Vereinnahmungsverhältnis: Die Romantik dient als Abgrenzungsfolie, um Systementwürfe gegenüber einem bedrohlichen modernen Relativismus zu rechtfertigen, den Hegel und Kierkegaard mit der romantischen Ironie aufkommen sehen. Im Gegensatz dazu beanspruchen Denker:innen der Postmoderne und des New Materialism die Romantik als Referenzpunkt, und setzen ihre Kritik an einem naturzerstörerischen Logozentrismus in eine prestigeträchtige Kontinuität. Damit besitzt die Frage nach dem Verhältnis von Romantik und Philosophie eine Brisanz für zeitgenössische Debatten, die das Graduiertenkolleg Modell Romantik zum Anlass nahm, um einen zweitägigen Workshop am 17. und 18. Januar 2024 im Jenaer Volkshaus zu veranstalten. Ziel des Workshops war es weniger, die philosophische Rezeption der Romantik zu diskutieren, mit der sich das Jenaer Graduiertenkolleg bereits in zahlreichen Veranstaltungen auseinandergesetzt hat, als genauer die romantische Philosophie selbst zu Wort kommen zu lassen.
Im ersten Vortrag führten die Workshop-Organisator:innen Matthis Glatzel (Jena) und Dajana Daum (Jena) in den nachkantischen Problemhorizont ein, in dem sich die romantische Philosophie konstituierte. Im Anschluss an Kants Kritiken stellte sich die Frage, ob es einen Einheitsgrund gebe, der zwischen theoretischer und praktischer Vernunft, empirisch determinierter Natur und menschlicher Freiheit vermittle. Glatzel und Daum plädierten dafür, dass Kippmodell des Graduiertenkollegs, das das Romantische als „beständige[s] Kippen zwischen holistischen Sinnentwürfen und moderne[m] Kontingenzbewusstsein“ [1] auffasst, für eine Konzeption der romantischen Philosophie fruchtbar zu machen.
Dieser Vorschlag resonierte mit dem Vortrag von Prof. Gesa Wellmann (Universität Oldenburg) „Das Problem der Kontingenz – Fichte und die Romantik“. Anhand der Geschichtstheorie des Philosophen, die er in den Vorlesungen Die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters [1806] entwickelte, beleuchte Wellmann das ambivalente Verhältnis Fichtes mit der Frühromantik, das zwischen Annäherung und Abgrenzung oszillierte. Wellmann zeigte auf, wie Fichte zwischen Einheitsbedürfnis und Kontingenzbewusstsein zu vermitteln versuchte: Fichte systematisierte Geschichte, indem er sie als einen kontinuierlichen Entwicklungsprozess zunehmender menschlicher Handlungsmacht begriff. Gleichzeitig erkannte Fichte mit der Konzeption von Heroen, die durch ihre Interventionen die Welt gestalten, die Kontingenz von Geschichte an. Diese wirkmächtigen Individuen stehen in Opposition zu den romantischen Ironiker:innen, die die Geschichte als ein willkürliches Spiel eher geringschätzen.
Johannes Korngiebel (Weimar) führte in Friedrich Schlegels Philosophie ein. Dafür stützte er sich auf ihre systematische Darstellung in den Mitschriften seiner Jenaer Vorlesungen zur Transcendentalphilosophie [1800-1801]. Korngiebel rekonstruierte, wie Schlegels Denken einen metaphysischen Enthusiasmus und einen erkenntniskritischen Skeptizismus harmonisieren möchte. Am Ende steht eine Philosophie, die sowohl von dem relativen Charakter von Erkenntnis als auch von einer Sehnsucht nach dem Unendlichen, das dem Menschen im Gefühl intuitiv gegeben ist, ausgeht. Diesem gilt es sich in der Philosophie und Poesie in einer unendlichen Suchbewegung anzunähern. Somit erschöpft das Relativismus-Verdikt der Romantikkritik Schlegels Philosophie nicht. Gleichwohl rückt das Kontingente, das Fichte zum Beispiel noch einzuhegen versuchte, ins Zentrum von Schlegels Philosophie. Hierin liegt ihre Innovativität Korngiebel zufolge.
Den ersten Tag des Workshops beschloss Dr. Joanna Raisbecks (Verona) Vortrag über die „Ablehnung und Aufwertung des Materialismus bei Karoline von Günderrode“. Sie ging über den konventionellen Gegenstandsbereich romantischer Philosophie hinaus, indem sie eine Dichterin in die Diskussion miteinbezog. Raisbeck stellte dar, wie Günderrode sich in ihrem Drama Mahomed, der Prophet von Mekka [1805] in der Spinozismus-Debatte der Sattelzeit positionierte. Dabei entwickelte Günderrode die Position eines vergeistigten Materialismus, nach welchem die allumfassende Kraft der Liebe dem vereinzelten Individuen eine universale Einheitserfahrung verspricht. Insofern diese nur vorläufig zu erreichen ist, lässt sich Günderrodes Philosophie mit dem Modell Romantik verknüpfen. In ihrem Zentrum steht im Gegensatz zu Fichte und Schlegel eine mystische Einheitserfahrung.
Der letzte Tag des Workshops begann mit Dr. Katia Hays (Amsterdam) Vortrag zur „Rolle der Kunst in Schellings Jenaer Vorlesungen über die Kunst“. Sie brachte einen Philosophen in die Diskussion, der philosophiehistorisch zwischen Romantik und Idealismus verortet wird. Hay warf die methodologische Frage auf, was es bedeute, eine Philosophie als romantisch zu interpretieren. Sie argumentierte, dass man nur ein Fragment von Schlegel als sinnvolle Äußerung verstehen könne, wenn man wie Schelling in seinen Würzburger und Jenaer Systementwürfen von einem unergründbaren Absoluten ausgehe. Für Schelling bezieht das Absolute immer zugleich Einheit und unendliche Vielfalt mit ein. Seine Philosophie kann somit alles einschließen, doch wie Hay an Schellings Kunstphilosophie illustriert, erreicht Schelling keine Finalität und Geschlossenheit, die Hegel für sein System beansprucht. Bei Schelling zeigt sich romantisches Philosophieren als ein Denken, das die Spannung zwischen System und Nicht-System produktiv austrägt, wie in der Diskussion von Hays Vortrag herausgestellt wurde.
Dr. Florian Priesmuth (Leipzig) hielt den abschließenden Vortrag über „Romantische Ethik? Friedrich Schleiermachers Grundlinienschrift“, der den Workshop um einen weiteren Denker und eine ethische Perspektive bereicherte. In seinen Grundlinien einer Kritik der bisherigen Sittenlehre [1803] entwickelte Schleiermacher eine Ethik, die eine Einheit zwischen Allgemeinheit und dem Eigentümlichen des Individuums herstellen möchte, wie Priesmuth darstellte. Hierbei grenzte er sich von der gängigen Leseart ab, nach der Schleiermacher ein Romantiker sei, insofern der Philosoph die ethische Bedeutsamkeit von Individualität akzentuiere. Im Gegensatz dazu betonte Priesmuth, dass in Schleiermachers Ethik ein Sinn für das Allgemeine besonders zu Tage trete. Kongenial zu anderen Romantiker:innen bestehe das Anliegen von Schleiermachers Ethik darin, die Kontingenz des Individuellen und die soziale Einheit zusammenzubringen.
Bei der ertragreichen Abschlussdiskussion wurde hervorgehoben, dass bei den diskutierten Philosophen:innen eine Spannung zwischen Kontingenzbewusstsein und metaphysischen Einheitsstreben beobachtbar ist. Das Modell Romantik wird gewiss dem romantischen Philosophieren gerechter als der kanonische Nihilismusvorwurf, wenngleich das Romantische sich besonders an der erkenntnistheoretischen Aufgabe einer Letztbegründung zeigt. Dort, wo Fichtes und Schellings Systeme sich am brüchigsten erweisen, erscheinen sie am romantischsten. Es stellt sich jedoch die Frage, wie produktiv das Modell Romantik ist, um der Komplexität der einzelnen Romantiker:innen gerecht zu werden. Forciert man zu sehr das Romantische, droht man die Differenzen und die Heterogenität innerhalb der historischen Romantik aus dem Blick zu verlieren. Es wurde dafür plädiert, die Pluralität der Romantik noch stärker in der Rekonstruktion der romantischen Philosophie zur Geltung zu bringen. Dabei wies man auf die Bedeutung von Interdisziplinarität für die Romantik-Forschung hin, wie sie am Graduiertenkolleg Modell Romantik praktiziert wird.
[1] Sandra Kerschbaumer: „Immer wieder Romantik“, Heidelberg 2018, S. 112.