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Donnerstag, 19. November 2020 | Stefan Matuschek

Aus der Werkstatt des Kollegs, Teil 1 mit Stefan Matuschek

Hier geben Wissenschaftler und Wissenschaflerinnen des Graduiertenkollegs den Blick
auf ihren Schreibtisch frei: Sie schreiben oder sprechen darüber, welche Arbeit derzeit auf sie wartet,
worüber sie nachdenken, mit welchen romantischen Themen, Texten, Bildern und Musikstücken
sie sich gerade beschäftigen. In vielen Fällen sind das Aspekte einer Dissertation.
Es können aber auch im Entstehen begriffene Projekte und Bücher anderer Art sein.
Oder Gedanken und Nebenwege, auf die einen die Beschäftigung mit der Romantik führt.

Ich habe gerade ein Buch abgeschlossen. Es wird eine Premiere für mich und ich bin gespannt, was daraus wird. Ich hab das erste Mal versucht, für ein größeres Publikum zu schreiben, nicht nur für Fachkolleginnen und -kollegen. Angestachelt dazu hat mich Safranskis Romantik-Buch. Der Autor ist eine Marke, eine sehr gute. Wie kein anderer kann er Philosophie- und Literaturgeschichte sachhaltig kompetent und zugleich süffig erzählen. Doch steckt seine Romantik-Deutung – „Eine deutsche Affäre“ – in einem alten, bei ihm wohl auch generationsbedingten Klischee. Als wäre Romantikforschung ein Enthüllungsunternehmen der deutschen Volksseele. Ich will dagegen die europäische Dimension der Romantik zeigen und die literarisch phänomenalen Neuerungen, die mit der Romantik in die Welt kommen. Die sind alles andere als spezifisch deutsch. Ich hab das Buch im ersten Aufriss nach literaturwissenschaftlichen Kategorien gliedern wollen und das auch mit einigen im Kolleg diskutiert – mit dem Ergebnis, dass man mich auf eine peinliche Lücke hingewiesen hat. Die hab ich dann gefüllt. Danke an die, die dabei waren! Als ich das dann der Lektorin vorlegte, blieb sie erst einmal stumm und machte höflich, doch unmissverständlich klar, dass das so nicht gehe. Ich müsse narrativer werden. Nun bin ich kein Safranski. So gut erzählen wie er kann ich nicht.

Wie aber erzählt man, wenn man eigentlich kein Erzähler ist? Ich hab die Flucht nach vorn angetreten und nicht nach kleinen, sondern nach der großen Geschichte gegriffen. Ich hab nun versucht, die Romantik nach den drei durchschlagenden Großereignissen darzustellen, aus denen sie hervorgeht. Das sind: die Französische Revolution, die sprunghafte Ausweitung der privaten, insbesondere der Roman-Lektüre und die kulturpolitischen Nationalisierungen, die zunächst gegen den Napoleonischen Imperialismus auftreten und sich nach dessen Zusammenbruch noch verstärken. Das sind europäische Ereignisse und deshalb geeignet, Romantik in diesem größeren Rahmen zu sehen. Von ihnen aus kommt man ziemlich geradlinig zu den kennzeichnenden Neuerungen der Romantik, die man als Revolutionsreaktion, als Sich-Einlassen auf die Lesewut und Romanmode und als Faszination an der Idee der Volkstümlichkeit verstehen kann. In dieser Idee liegt das europäisch Gemeinsame, das je nach den besonderen politischen Situationen in Deutschland und Italien anders ausfällt als in Frankreich und noch einmal anders in Großbritannien. Auf diese vier Länder beschränke ich mich. Ich muss mich ja an das halten, was ich kann.

Eine weitere Absicht des Buches ist es, Romantik nach der Aufklärung als den zweiten entscheidenden Impuls der europäischen Moderne zu würdigen. Romantik ist ein neuer Modus, mit den Fragen umzugehen, die über das empirisch Wahrnehmbare und Überprüfbare hinausgehen; Fragen, die wir nicht auf der Höhe unseres eigenen Verstands beantworten können. Das betrifft so etwas wie den ‚Sinn des Lebens‘ oder, auch viel kleiner dimensioniert, den Anspruch, das eigene Leben als ein stimmiges Ganzes zu verstehen. Das entscheidend Neue der Romantik liegt darin, sich darauf einzulassen, dass dergleichen immer nur eine Sache der eigenen Vorstellung sein kann; nicht mehr und auch nicht weniger. Am Ende führt mich das zu der Formulierung, Romantik sei die stilistische Evidenz, dass man über den Verhältnissen seiner Vernunft lebt. Es ist gut, diese Evidenz zu haben und sich nicht über den Status dessen zu täuschen, wovon wir keine klaren Begriffe haben. Es ist ein Antidot gegen jeden Fundamentalismus. Das halte ich für ein wichtiges Erbe der Romantik, das allerdings in einigen ihrer Strömungen auch wieder untergeht. Mir geht es nicht um eine Apologie der Romantik oder darum, die Kritik an ihr zurückzuweisen. Mir geht es darum, das an ihr explizit zu machen, was man nur zum eigenen Schaden vergisst oder verliert. Wie in unserem Kolleg schaue ich dabei nicht nur auf die historische Epoche, sondern auch auf Fortsetzungen bis in unsere Gegenwart.

Gespannt bin ich, was die Lektorin zu solchen wie der eben genannten Formulierung sagt. Meinen ursprünglich geplanten Titel („Romantik. Das selbstgemachte Jenseits“) hat sie im Verbund mit der zuständigen Abteilung schon abgeräumt. ‚Selbstgemacht‘ sei kein schönes Wort; keinesfalls titeltauglich, klinge nach Bastelkeller und Hobbyküche. Wenn man ein Publikumsbuch versucht, war mir klar, entscheidet man nicht selbst, sondern entscheiden die Marketingleute über den Titel. Wir haben uns jetzt auf einen verständigt, der meinem ursprünglichen semantisch entspricht, doch ohne ‚hässliche‘ Wörter. Ich verrate ihn jetzt nicht. Vielleicht ändert er sich ja noch einmal. So lässt mich die Arbeit an dem Buch, auch wenn ich den Text längst abgeschlossen hab, nicht los.

Gelesen haben den Text bislang zwei Personen. Die eine ist mein ständiger akademischer Begleiter, mit dem ich fast alle meine Sachen bespreche. Die andere ist meine Ehefrau. Sie hatte zuvor noch kein Buch von mir gelesen. Sie ist eine entschiedene Naturwissenschaftlerin. Ich wundere mich nicht und nehme es ihr auch nicht übel, dass sie offenbar lieber mit mir spricht als etwas von mir liest. Jetzt hat sie eine Ausnahme gemacht; es sollte ja diesmal über mein Institut hinaus lesbar sein. Sie war also die Probe aufs Exempel. Es ist gut gegangen. Aber kann man der eignen Ehefrau in diesem Fall trauen? Würde sie es mir gleich sagen, wenn ich zweieinviertel Jahre umsonst gearbeitet hätte? Immerhin habe ich schon einen Präsentationstermin mit dem Hochstift in Frankfurt vereinbart; aber erst im kommenden April, als Vorbereitungsveranstaltung für die Eröffnung des Romantikmuseums dort im Herbst. Der Verlag sagt zu, das Buch spätestens im Februar herauszubringen. Im Moment wird das Coverbild ersonnen. Ich hab ein in den Himmel geworfenes Buch vorgeschlagen; weiß aber auch nicht, was die Profis davon halten. Man habe es dem Graphiker weitergegeben. Vorschläge sind also noch willkommen.