Blog

Mittwoch, 27. Mai 2020 | Stefan Matuschek

Alltag anders bei Stefan Matuschek

Unter dem Titel „Alltag anders“ versammeln wir Selfies und Statements von Kollegmitgliedern, die sich mit den Fragen beschäftigen: Was machen Sie derzeit, was Sie sonst nicht tun? Hat sich Ihre Wahrnehmung durch die gegenwärtige Situation verändert? Worüber denken Sie plötzlich nach? Was wünschen Sie sich für morgen, in einem Monat, in einem Jahr?

Neue Normalität?

Mein Alltag ist in diesen Wochen so anders, dass ich hoffe, dass er trotz einiger idyllischer Begleiterscheinungen niemals mein Alltag wird. Über fast 25 Jahre hab ich mich an das Doppelleben in Jena und Münster gewöhnt. Jetzt bin ich wie ein Pendel, das man auf einer Seite festhält. Aus dem Takt also. Ich ticke nicht mehr richtig.

Die meiste Zeit verbringe ich jetzt seit Wochen mit zwei Maschinen: meinem Laptop und meinem Rudergerät. In den einen fließt mein gesamtes berufliches und ein großer Teil meines sozialen Lebens. In das andere der Großteil meiner Bewegungsenergie. Ich bin froh, dass es diese Maschine gibt und dass ich sie habe. Gingen sie jetzt kaputt, würde ich vollends verrückt. Doch verändern sie, je mehr Zeit ich mit ihnen verbringe, ihren Charakter. Sie zeigen ihre tristen Seiten. Wenn ich meine Vorlesung vor meinem Laptop halte, registriert er genauestens jedes meines Worte; doch als tote Technik, nicht als verstehendes Gegenüber. Und das Rudergerät, meine neue Leidenschaft seit einigen Jahren, wird zum Sinnbild des Stubenhockers, wenn ich nun jeden Tag darauf sitze. Ich bin ja immer, tatsächlich immer zu Hause.

In einem frühen Woody-Allen-Film gibt es die Fiktion, dass die Menschen ihre sexuellen Bedürfnisse auf Abstand, jeder für sich befriedigen. Anstatt zusammenzukommen, steigt jeder einzeln in eine Art Duschkabine, die ihm das sexuelle Erlebnis simuliert. Gäbe es Allens Kabinen, würden sie heute vielleicht nicht zur Pflicht, doch gewiss dringend empfohlen, um die Ansteckungsgefahr zu mindern.

Ich höre jetzt mehr und mehr, dass man von einer neuen Normalität spricht, von der Normalität in Corona-Zeiten. Das erschreckt mich. Ich verstehe nicht, wie man ein menschliches Leben ohne reale Begegnungen, ohne ein auch physisch spürbares soziales Leben ‚normal‘ nennen kann. Es ist schlimm, nicht mehr richtig zu ticken. Noch schlimmer ist es, wenn man es nicht mehr merkt und für normal hält.