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Mittwoch, 15. Juli 2020 | Pascal Ongossi Assamba

Alltag anders bei Pascal Ongossi Assamba

Unter dem Titel „Alltag anders“ versammeln wir Selfies und Statements von Kollegmitgliedern, die sich mit den Fragen beschäftigen: Was machen Sie derzeit, was Sie sonst nicht tun? Hat sich Ihre Wahrnehmung durch die gegenwärtige Situation verändert? Worüber denken Sie plötzlich nach? Was wünschen Sie sich für morgen, in einem Monat, in einem Jahr?

Beruflich lerne ich Deutschland in besonderen politischen und sozialen Zeiten kennen. Wegen der Krise drückt sich die legendäre deutsche Disziplin akribisch aus. Die politischen Vorgaben verringern drastisch die sozialen Kontakte, ermöglichen aber zugleich die Fortführung der Arbeit, die vom Büro ins Appartement umgezogen ist. Hier kann ich sie stundenlang allein verrichten, tausche oft freundliche SMS mit Kollegen, meiner zweiten Familie. Um mir die Beine zu vertreten, stehe ich am Fenster. Da genieße ich kurzweilig das städtische Panorama, das mir vom Sommertag geboten wird…

Wieder am Schreibtisch wandern meine Gedanken in die Ferne. Nostalgisch fliehen sie zur Familie, dort in die ferne kamerunische Heimat hin, wo Theodor Seitz, Jesko von Puttkammer und viele andere Deutsche 1884 sich einen Platz unter den Tropen einräumten. Heute soll auch dort der sogenannte Sozialabstand gelten, obwohl die Sozialwärme bekanntlich stärker ist. Die Städte waren dort immer lärmig, die Dörfer aber ruhig. Meine Träumereien lassen mich an meine Jugendzeiten denken. Ich ging oft alten Menschen in Feldern helfen, ich spielte Fußball, Handball und Volleyball mit Jugendlichen meiner Generation. Ich engagierte mich schwärmerisch wie die meisten Jungen jener Generation gesellschaftlich. In der Klasse lernten wir die deutsche Sprache und mochten „Hänsel und Gretel“ der Brüder Grimm in Deutschkursen… Ich wusste damals nicht, dass genau diese romantischen Momente in Kamerun mich später zu ihrer Analyse führen würden. Eine naive, aber sehr schöne Epoche. Ich erinnere mich daran, als wäre es noch gestern.

Die Zeitkrise trifft in Ngoro, dem Dorf meiner Eltern, einen etwas pittoresken Dekor der sozialen Landschaft, die aus Flüssen, Wiesen, Bächen und Menschen besteht. Das ist belebend. Diese Natur, die schwärmerische Bevölkerung, die Familie, das einfache Leben, bedeuten für mich das schöne Leben. Und hier romantisiere ich schon das, was man dort verlieren könnte. Was hat diese Romantisierung mit der Kolonialzeit und mit der deutschen Romantik zu tun? Das Thema meiner Arbeit. Von Kolonisatoren haben die Landsleute dort die Bedeutung des Begriffs „Heimat“ erfahren. Sie wurden gleichzeitig zum Objekt der fantastischen Repräsentationen von Kolonisatoren.  Ach diese Krise! Wie das Meer treibt sie Gefühle zu, verursacht zugleich eine Reise ins Innere. Und nun produzieren meine Finger romantische Worte. Wirklich anders mein Alltag!